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Die Freiburger Peace Ambassadors.
Foto: Hasan Vural
Jean Francois Mavel, der Initiator der Erinnerungsbrücke Freiburg-Toulouse.
Foto: unbekannt

Reise der Freiburger Peace Ambassadors nach Frankreich vom 27. bis 31. Mai 2016

Fast alle Freiburger Juden wurden am 22. Oktober 1940 nach Gurs deportiert. Nachdem das Lager Gurs überfüllt war, wurden viele dieser Juden auf andere Lager verteilt. Einige von ihnen kamen in das Lager Dillon in Toulouse. So starb zum Beispiel der letzte Freiburger Synagogenratsvorsitzende, Julius Bloch, im Lager Dillon.

2014 besuchte der aus Toulouse stammende Hobby-Historiker Jean-Francois Mavel die Geschichtswerkstatt in Freiburg. Gemeinsam mit der Geschichtswerkstatt möchte er an die beispielhafte Tragödie der Freiburger Juden in Toulouse erinnern. Aber es gibt auch eine weitere Verbindung in die andere Richtung von Toulouse nach Freiburg: Der aus Toulouse stammende Polizist Jean Phillipe wurde wegen seiner Widerstandstätigkeit nach Freiburg verschleppt und dort zum Tode verurteilt. Unter anderem hatte er tausende gefälschte Ausweispapiere hergestellt und weigerte sich Listen von zu verhaftenden Juden auszustellen. Das Urteil wurde am 1. April 1944 in Karlsruhe vollstreckt.

Die beiden genannten Schicksale von Julius Bloch und Jean Phillipe veranlassten Jean-Francois Mavel viele Jahre an der Vision einer Erinnerungsbrücke Toulouse-Freiburg zu arbeiten.

Auf der Suche nach einem Freiburger Kooperationspartner für die Erinnerungsarbeit Freiburg-Toulouse stieß er auf die Geschichtswerkstatt der Lessing-Realschule. Gemeinsam entwickelten sie die Vision weiter. Ein Austauschprogramm zwischen der Lessing-Realschule in Freiburg und dem Collège Pierre Bayrou in Saint-Antonin-Noble-Val entstand.  Im Mai 2016 fand die erste Begegnung der beiden zukünftigen Austauschschulen in Saint-Antonin-Noble-Val statt.

Sechs SchülerInnen der Geschichtswerkstatt der Lessing-Realschule Freiburg reisten mit Rosita Dienst-Demuth und Franz Brockmeyer vom 27. bis zum 31. Mai 2016 nach Frankreich mit Stationen in Paris, Saint-Antonin-Noble-Val und Toulouse.

Lika L. und Nick H. im Memorial de la Shoah in Paris.
Foto: Rosita Dienst Demuth

1. Station Paris am 27. Mai 2016

Auf der ersten Station der Reise in Paris besuchte die Gruppe das Memorial de la Shoah und recherchierte vor Ort über die ehemalige Freiburger Zwangsschülerin Hanna Reichmann, die Eltern von Kurt Lion, Rosa und Philipp Lion, sowie die Eltern von Richard Levi, Alfred und Brunhild Levi.

Auch zur ehemaligen Lehrerin Klara Maier wurde recherchiert. Anschließend besuchte die Gruppe das jüdische Viertel Marais. Ein Besuch der Kirche Notre Dame und der Eifelturm standen ebenfalls auf dem Programm.


Lucienne mit den französischen Schülern nach dem Zeitzeugengespräch.
Foto: Laure Mezière
Der Sohn eines spanischen Flüchtlings erzählt von der Tragödie in den Lagern.
Foto: Rosita Dienst-Demuth
Die Überlebende Rachel Roizes (2.v.r.) berichtet über das Lagerleben in Septfonds.
Foto: Franz Brockmeyer
Gesprächtsrunde im Dickicht des Waldes.
Foto: Rosita Dienst-Demuth
Nick verliest den französischen Gedenktext über die stillen Helden.
Foto: Rosita Dienst-Demuth

2. Station Saint-Antonin-Noble-Val

Nach einer sechs-stündigen Zugfahrt wurde die zweite Station der Reise, Saint-Antonin-Noble-Val, erreicht. In dieser Gegend wurden laut bisherigen Recherchen der Geschichts-werkstatt über 20 der ehemaligen ZwangschülerInnen gerettet. Außer den Gastfamilien, Lehrern des Collège Pierre Bayou sowie dem Initiator des Projekts, Jean Mavel, erwartete uns noch ein Überraschungsgast:  Die hochbetagte jüdische Lucienne Kahan Aroesty aus Los Angeles.

Lucienne Kahan Aroesty war mit ihrer Familie im 2. Weltkrieg von Belgien nach Frankreich geflohen. Als die Nazis 1940 auch Frankreich besetzten, wurde sie mit ihrer Mutter in Saint-Antonin-Noble-Val versteckt und 1944 gerettet. Zufällig besuchte sie Saint-Antonin-Noble-Val am selben Tag wie die Geschichts-Werkstatt am 28. Mai 2016. Sie interviewte Rosita Dienst-Demuth über die Erinnerungsarbeit der Geschichtswerkstatt. Nach dieser besonderen Begegnung schickte sie umgehend eine eMail an die Geschichtswerkstatt:

Dear Rosita,
It was wonderful to meet you even for a short time.  I was so glad to be able to record your story on short video on my i phone explaining your school’s history.
I have already shown that video to over 100 persons.  When I returned to the ship, many people knew I was going to St. Antonin and hoped to meet you and the children. The ship arranged for me to show your video on a large movie screen.  I will try to send you this video.

I was happy to visit my old house and also the Brasserie where my father played cards with the town doctor Benet (in Saint-Antonin-Noble-Val). Let me know if you received from Bernard a copy of the refugees that were registered in St. Antonin. I did get a copy and can email it to you. I hope someday you will come to Los Angeles. You would be very welcome to stay in our home. Again thank you for what you did and please send me any information that I can share with my friends and the Jewish community in Los Angeles. Warm regards,
Lucienne Kahan Aroesty"

Am zweiten Tag in Saint-Antonine-Noble-Val besuchte die Gruppe die Gedenkstätte ‚Gare de Borredon‘. Der ehemalige Bahnhof gedenkt heute an die Flucht von 500.000 Menschen aus dem spanischen Bürgerkrieg 1936-1939. Ein Mitarbeiter dieser Gedenkstätte und gleichzeitig Sohn eines dieser Flüchtlinge, José González, führte die Gruppe durch die Ausstellung.

Danach fuhr die Reisegruppe in das Camp de Septfonds. Dieses Internierungslager wurde 1939 für über 12.000 spanische Flüchtlinge errichtet. Ab 1940 wurden auch jüdische Deportierte aus Baden und der Saar-Pfalz von Gurs in das Aussenlager Septfonds interniert. Unter diesen Deportierten befanden sich auch die Eltern des Zwangsschülers Richard Levi, Brunhilde und Alfred Levi aus Friesenheim.

Die ehemals in Septfonds internierte Rachel Roizes begleitete die Gruppe den ganzen Tag. Sie konnte mit ihrer Mutter nach Paris fliehen und überlebte den Holocaust im Versteck. Ihr Vater kam in Auschwitz um. Sie wohnt heute in Toulouse und erinnert mit Vorträgen an das Schicksal ermordeter jüdischer Kinder. Beeindruckt vom Besuch der Gedenkstätte kommentierte der deutsche Schüler, Nick H.: „Tot ist nur der, der vergessen wird.“

Nach einem kurzen Empfang mit dem Bürgermeister im Rathaus von Septfonds, stand ein Picknick der  besonderen Art auf dem Programm: Die Ferme de la Bouriette in der Nähe von Septfonds war einst ein Versteck des französischen Widerstandes im Dickicht des Waldes. Daran erinnert heute eine Ausstellung in einer Steinhütte mit verschiedenen Tafeln. Ein alter Mann, Sohn eines Resistance-Kämpfers sowie ehemaliger Bürgermeister, und seine Frau stellten nach dem Essen die Gedenkstätte vor. An diesem idyllischen Ort wurden sechs junge Widerstandskämpfer von den Nazis erschossen worden! Sie sollen nicht vergessen sein!

Nick H. las in diesem Zusammenhang den Textentwurf unserer Gedenktafel für Stille Helden in französischer Sprache vor.

Vertreter der Stadt Toulouse, Laure Mezière, die französische Projekpartnerin und Rosita Dienst-Demuth beim Empfang im Rathaus.
Foto: Franz Brockmeier

3. Station Toulouse

Am fünften Tag der Reise stand ein Empfang im Rathaus von Toulouse auf der Agenda. Jean Francois Mavel, der Initiator der Erinnerungsbrücke Toulouse-Freiburg organisierte ein Treffen der ‚Peace Ambassadors‘ aus Freiburg und Saint-Antonin-Noble-Val mit Vertretern des Bürgermeisters der Metropole Toulouse. Die Vertreter des Bürgermeisters, Jean François Mavel, Rosita Dienst-Demuth und Laure Meziere beschlossen, die Erinnerungsarbeit Freiburg-Toulouse gemeinsam fortzusetzen.  Ein erster Höhepunkt wird die Pflanzung des Baums für Stille Helden im November 2016 auf dem Pausenhof der Lessing-Realschule in Freiburg sein. 13 französische SchülerInnen aus Saint-Antonin-Noble-Val werden einen Judas-Baum aus Toulouse mitbringen und in Freiburg pflanzen.

Nach dem Empfang wurde die Gruppe bewirtet bevor die Reise mit dem TGV über Lyon zurück nach Colmar ging.


Franz Brockmeyer ist fasziniert von dem malerischen Städtchen unserer Partnerschule Saint-Antonin-Noble-Val.

Berichte der Teilnehmer

 

Auf der 10-stündigen Heimreise war Zeit und Muse, so manche Reiseeindrücke der ‚Peace Ambassadors‘ auf dem Tablet festzuhalten:

Malte K.: „Meine menschlichen Eindrücke: Zu Beginn muss gesagt sein, dass ich eigentlich gar nicht auf diese Reise wollte, und bin nun doch sehr, sehr froh, dass Frau Dienst-Demut aus Versehen für mich mitgebucht hat. Ich muss sagen, dass die Zeit mit meiner Gastfamilie eine wunderbare Zeit war. In diesen Tagen lernte ich mehr von der französischen Kultur kennen, als in zwei Jahren Französischunterricht. Wir verständigten uns mit Händen und Füßen und hatten viel Spaß zusammen. Die einzige Kritik gilt meinen deutschen Klassenkameraden, die sich nicht für die Quintessenz dieser Reise zu interessieren schienen. Froh war ich auch über die Anwesenheit von Herrn Brockmeyer, da unsere Unternehmungen sonst noch mehr im Chaos versunken wären. Auch zwischenmenschlich gab es für mich persönlich einige neue Erfahrungen. Meine Gastfamilie war sehr nett und gastfreundlich. Der freundschaftliche Bezug, den wir aufbauten, offenbarte sich beim Abschied, doch dieses psychologische Phänomen, so traurig wie es auch sein mag, bringt oft Klarheit. Wie man aus meinen Abschweifungen lesen kann, so kann ich nur wiederholen, dass es menschlich und auch sprachlich für mich eine neue und wundervolle Erfahrung war.
Die inhaltlichen Eindrücke: Auf unseren Exkursionen besuchten wir einige Gedenkstätten jüdischer, spanischer und französischer Geschichte. Wenn es auch nicht immer ganz verständlich war, der französischen Sprache wegen, so war der Inhalt doch sehr anregend, und auch Frau Dienst-Demuths Rede, stockend zwar, weil in Englisch, war anregend.
Zeit in Paris: Ein Höhepunkt der Reise waren die beiden Tage in Paris, Stadt der Liebe und kulturelle Metropole Mitteleuropas. Ich will nicht verschweigen, dass wir mit unserer, freundlich gesagt, belebten Auftretensweise so manchen Menschen, den ein oder anderen Nerv kosteten, dennoch ist die Stadt für mich persönlich eine der Dinge, die man im Leben gesehen haben muss, und auch, wenn es wahrscheinlich nicht mein letzter Eindruck von Paris sein wird, so war es doch ein toller erster Eindruck!
Kurze Zusammenfassung: Alles in allem und nach reichlicher Reflexion, kann ich für mich persönlich behaupten, dass diese Reise ein voller Erfolg war, bzw., da ich mich im Moment des Schreibens dieses Satzes noch im Zug nach Mulhouse befinde, ein voller Erfolg ist. Menschlich, wie inhaltlich.“

Johannes H.: „Ich fand den Schüleraustausch sehr abwechslungsreich, da das Verständigen auf englisch sehr schwer war, weil die Gastfamilie kaum englisch und ich kein französisch konnte. Doch beim Fußballspielen konnten wir uns gut verständigen.“

Malika M. und Lika L.: „Zu Beginn war es mit unseren Gastschwestern Emma und Agathe sehr schwierig. Wir haben dann ein Worte-Ratespiel erfunden, was richtig Spaß gemacht hat. Im November schläft Emma eventuell bei Lika und Agathe eventuell bei Malika.“

Nick H.: „Ich hatte eine Übernachtung bei Luc und zwei bei Quentin. Obwohl ich Französischschüler bin, habe ich mich mit den Jungs und den Eltern auf Englisch unterhalten. Für mich war der Austausch eine einmalig schöne Erfahrung. Die Verabschiedung von den Jungs war ganz normal, aber ich wollte, wie viele der anderen, noch ein paar Tage bei unseren Gastfamilien bleiben. Im November nehme ich evtentuell beide gerne auf. Im Frühjahr 2017 will ich wieder mit, und den Freundschafts-Baum aus Freiburg auf deren Schulhof pflanzen.“

Franz Brockmeyer: „Dem Andenken und dem Lebenswerk Gertrud Luckners, einer herausragenden Figur des Widerstandes gegen das NS-Regime, ist die Arbeit der gleichnamigen Bibliothek verpflichtet. Deshalb bin ich als ihr Leiter sehr gerne Teil dieser für alle Teilnehmer außerordentlich eindrucksvollen Reise gewesen. Die Begegnung mit den jungen deutschen wie den französischen Schülern hat mir Spaß gemacht und manche neue Einsicht vermittelt.

Ein ganz wesentlicher Ertrag dieser Reise muss besonders genannt werden: Zu unseren Exkursionen und an den verschiedenen Erinnerungsorten gesellten sich zahlreiche Teilnehmer, die in ihrem Leben in verschiedener Weise mit Verfolgung und Résistance konfrontiert waren und sind: entweder als Betroffene oder als Rechercheure der Historischen Ereignisse und Personen.
Sie begegneten einander, oft zum ersten Mal, und es kam zu spannend-lebendigen und ausführlichen Gesprächen. Die alten und älteren Herrschaften vergaßen über ihrem Thema häufig die Zeit und damit auch die anwesenden jungen Schülerinnen und Schüler. Diese reagierten auf ihre vermeintliche Nichtbeachtung "cool", d. h. freundlich und verständnisvoll. Diesen engagiert lebhaften Erfahrungs- und Meinungsaustausch der "Alten" empfinden wir als einen großen Gewinn unserer Reise.“

Rosita Dienst-Demuth: "Die Vielfalt der historischen und aktuellen Eindrücke auf der Exkursion durch das Dickich der Lager und der Verstecke der Widerstandskämpfer mit direkten Bezügen zu unserer Erinnerungsarbeit in der Geschichtswerkstatt 'Zwangsschule für jüdische Kinder' haben wir neben Jean-Francois Mavel vor allem auch unserer schulischen Austauschpartnerin Laure Mezière zu verdanken. In diesem ländlichen Großraum haben viele unserer ehemaligen jüdischen SchülerInnen überlebt. Meist mussten ihre Eltern die tragische Reise in den Osten, in den sicheren Tod, antreten. Wir wollen sie nie vergessen. Laure - Merci bién!!"

Bildergalerie der Reise nach Frankreich